Textproben

Hier ein paar Textproben von uns für euch, die man nicht in unseren Kostproben-Heften („Buchstaben-Bruchstücke und Fantasiefetzen“ aus dem Juni 2009, „Sonst hätte man ja nur den Sommer“ aus dem Januar 2010 und „Mit Orangenstückchen gegen das Gute“ aus dem Juni 2011) findet. Von Basti der letzte Text, den er vor seiner Irland-Auswanderung bei Lauschgift gelesen hat, und von Lydia einer ihrer Postkarten-Texte aus dem Dezember 2009. Deswegen verzichtet sie auch auf ein Foto. Weil sonst das Foto größer als der Text wäre. Ein Gedicht von Yulia, die im März 2010 zum ersten Mal bei uns gelesen hat! Das Intro der Märzlesung 2012, das Jakob geschrieben hat. Und jetzt ganz neu: Das Gedicht von Alex von dieser März-Lesung! Viel Spaß mit Bild und Wort. Weil man unsere Texte vielleicht auch mal selber lesen will.

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TIGER IM SCHRANK. Ein Postkartentext. – In meinem Schrank lebt ein Tiger. Irgendwann im Dezember ist er aufgetaucht. Ich bin nach Hause gekommen und habe im Schnee vor meinem Fenster seine Spuren entdeckt. Tatzenabdrücke.  Wie er reingekommen ist, weiß ich nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen. Ich höre ihn nur manchmal nachts atmen. Er stört mich nicht, er ist einfach nur da. Irgendwann gewöhnt man sich dran. Meine Freunde sagen, ich solle etwas dagegen machen. Aber wie stellen sie sich das denn vor? Dass ich ihn ausräuchere? Gift auslege? Als könnte man bei so etwas einfach den Kammerjäger holen. Als würde der einem dann zwei Stunden lang den Teppich dreckig machen, und danach wäre alles erledigt. Abgetötet. Wegpoliert. Ich frage sie, was bei ihnen im Schrank lebt. Sie sagen: nichts. Ich weiß, dass sie lügen.                                                                                                                                          lydia dimitrow

(veröffentlicht in unserer Literaturpostkarten-Serie aus dem Dezember 2009.)

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Jakob Straub

HANDZAHM

Stampft ein Elefant in deinem Garten
Tritt die Petunien kurz und klein
Musst mit dem Kuscheln du noch warten
Zahm wird er so schnell nicht sein.

Macht ein Maulwurf einen Haufen
Mitten in dein Blumenbeet
Kein Grund die Haare sich zu raufen
Keiner sagte ihm dass das nicht geht.

Spielt dein Tanzbär dir ein Ständchen
Watschelt dein Pinguin im Takt?
Macht Dein Mopps schon richtig Männchen
Geht spazieren Deine Schnecke nackt?

Und dein Nager im Gehege
Dreht er am Rad den ganzen Tag?
Meinst du er läuft so weite Wege
Weil er dich so richtig gerne mag?

Landet dein Sittich auf dem Finger
Ringelt deine Schlange sich um deinen Hals?
Dreht dein Faultier krumme Dinger
Ist dein Maultier das Störrischste des Stalls?

Hast du Kummer mit dein’m Hummer
Ist Deine Kröte ständig blank?
Ist dein Affe eine schräge Nummer
Deine Giraffe eingebildet krank?

Macht dein Flamingo Mongo Witze
Die dein Goldfisch so noch nicht gehört?
Treibt dein Einhorn es mal wieder auf die Spitze
Sind deine Bienen von dir nicht betört?

Tschirpen Deine Meisen
„Leck mich doch am A“
Möchte dein Vielfraß nichts speisen
Kommt dein Tintenfisch auf keinen Füller klar?

Mag dein Zebra keine Streifen
Schwimmt dein Flusspferd nur im Meer?
Kann Dein Tausendfüßler keine Schleifen
Tut legasthenisch sich Dein Esel mit dem IA schwer?

Ist Vegetarier dein Löwe
Dein Specht ein toller Hecht?
Heult ständig deine Möwe
Und dein Pferd küsst richtig schlecht?

Raucht dein Krebs auf Lunge
Zeigt dein Hai dir wo der Hammer hängt?
Kriegt deine Kaninchen keine Junge
Hat sich dein Schwamm im Alkohol ertränkt?

Ist Dein Clownfisch gar nicht komisch
Und dein Pfau auf gar nichts stolz?
Schweigt stur dein Papagai und stoisch
Frisst Dein Wurm Beton statt Holz?

Schenken dir Austern ihre Perlen
Oder sind zu dir die Muscheln mies?
Träumen von Kerlen deine Schmerlen
Ist dein Bluthund schüchtern anstatt fies?

Gehst mit deinem Krokodil du schwimmen
Reitest du aus mit deinem Wal?
Nimmt dein Nashorn dich auf seine Kimme
Ist das Zähmen deiner Qualle eine Qual?

Bekennt dein Chameleon nie Farben
Mag deine Made China anstatt Speck?
Hast von deinem Igel du nur Narben
Ist dein Gecko ganz schön keck?

Ist allergisch gegen Gras dein Büffel
Will zum Zirkus nicht dein Floh?
Frisst dein Schwein selbst die Trüffel
Und kennst Du Tiere nur im Zoo?

Geht dein Spürhund eigene Wege
Ist dein Lama gar nicht lahm?
Kennst Du Tiere nur aus dem Gehege
Hinter Gittern, zum Anfassen und ZAHM?

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Yulia Marfutova

Dichter I liest einen Text.

Dichter II lobt ihn
als Apologie
der Menschlichkeit.
Dichter III
hält die Perspektive
für schlicht falsch.
Dichter IV
sinniert über
die Symbolik.
Dichter V
hat nicht zugehört,
mag aber Dichter I
sowieso nicht.
Dichter VI
hat Dichter IV
nicht verstanden
und spricht nun
über die Einflüsse
Rousseaus
im Einzelnen
und im Allgemeinen.

Dichter VII
pflichtet Dichter II bei
und widerspricht Dichter III.
Dichter VIII
widerlegt die Argumentation
von Dichter VII.
Dichter IX
erweitert
die Ausführungen
von Dichter IV.

Dichter X
philosophiert.
Dichter XI
echauffiert sich.
Dichter VII
und Dichter VIII
erheben die Stimmen.

Großer Applaus im Studio.

Geringe Einschaltquoten.

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Alexander Vowinkel

Ausnahmezustand

Deine Nähe gibt mir Kraft und laugt mich aus,
kann nicht entrinnen, kann mich nicht wehren;
wie die Fliege zum Licht und der Mond zur Erde.
Ein Gummiband loszulassen, bevor es implodiert
Ich weder will noch kann.

Dein kraftvolles Wesen schwappt über alle Dämme,
tränt mich mit Glück, stillt meinen Durst.
Ein Feuerwerk nur Dir zum Feste, schillernd bunt
erhellt’s das Firmament und macht mir klar,
das Ausmaß der Verwüstung.

Die Keller überflutet, die Straße schwimmt,
THW und Feuerwehr verzweifeln, wissen: Wochen
bis kein Gummistiefel nötig. Ambivalent die Stimmung
in dem Volke. Würd‘ man’s doch ohne Vorbehalte
unverzüglich wieder tun.

Wenn schließlich alle Keller leergepumpt, die Straßen
Frei von deinen Spuren: Du bist versickert,
tief in mir drin. Kommst nie mehr raus, du bleibst.
Bleibst ein Teil von mir. Nicht nur im Herz –
auch in meinem Körper, meiner Seel‘!

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Sebastian Jähne

Bewältigung eines Traumas im Treffen mit einem scheinbaren Ideal – Oder: Entspannung

 Eine idealistische Vorstellung

Da ist sie. Schon von weitem erkenne ich ihr dunkles, welliges Haar, welches bei jedem ihrer Schritte auf und ab wippt. Ich erinnere mich an ihre Gangart, obschon ich sie seit zwei Jahren nicht gesehen habe und dann auch nur flüchtig.

„Hey! Schön dich zu sehen.“
Sie lächelt, ihre blauen Augen strahlen mich wie eine frische Sommerbrise an und ich weiß sofort wieder, was ich empfand, als ich diesen Hauch zum ersten Male auf mir spürte. Wir umarmen uns.
„Hey. Ja, es ist auch – ich finde – schön dich zu sehen.“
„Es kommt mir vor als wären es Jahre.“
„Jahre. Das ist relativ.“, hat mir mal jemand erklärt. Selbst Zwanzig können in uns zerrinnen, ähnlich einem Traum oder Wunsch im Moment seiner Erfüllung. Je voller diese Momente, umso steter ist der Weg.

Ich ziehe meinen Kragen enger. Es fröstelt mich. Winzige Tropfen fallen auf mein Gesicht, Sprüh kriecht in meinen Nacken.

Wir setzen uns in ein kleines, gemütliches Café. Während ich einen Kaffee bestelle, entscheidet sie sich für eine heiße Schokolade mit Sahne.

„Das Wetter ist mal wieder typisch Irland.“
Ich nicke zustimmend. Das ist es.
„Ich kann noch gar nicht glauben, dass du jetzt hier bist. Dass du hier studierst. Du hast nie etwas davon gesagt.“
„Es kam für mich auch ganz schön plötzlich.“
Der Kaffee nimmt ein helles Braun an, als ich ein wenig Milch dazu gieße. Er ist dünn wie Wasser.

„Weißt du.“, beginne ich. „Ich habe mich immer wieder gefragt, warum du mir nie auf meinen letzten Brief geantwortet hast.“
„Naja, ich weiß nicht. Ich hatte halt sehr wenig Zeit. Der Umzug, die Uni, einfach Alles. Du verstehst doch?“
„Für den davor hattest du aber noch genügend Zeit.“
„Ach. Weißt du, dass war was anderes.“
„Was war anders?“
„ – .“
„Was?“

„Ach man. Ich habe immer noch das Gefühl, dass du nicht von mir loskommst, dass ich deine Gefühle zu mir, mit meinen Antworten, meinen Briefen nur noch mehr nähre.

Du sagst, du willst eine Freundschaft, kannst aber unsere Beziehung, und es war noch nicht einmal eine, nicht vergessen. Jetzt stehst du so vor mir und erklärst, dass du hier studierst. An der gleichen Uni wie ich.
Wie soll ich das verstehen? Willst du mich verfolgen?“

Bei ihren Worten, packt mich Entsetzen. Auf ihrer Stirn stehen zwei tiefe Kerben. Irgendwie kenne ich diese Situation: Es ist kalt, ich bin schweißgebadet, mein Herz bebt in meiner Brust, dass es kaum auszuhalten ist. Ich weiß, ich habe geträumt. Doch hier, hier wach ich nicht auf. Nichts kann mich aus diesem Traum wecken.

„Das geht so nicht! Verstehst du?“
‚Verstehen? Tu ich alles und gar nichts. Und warum geht es nicht? Wieder wegen mir? Oder doch wegen dir? Ich bin nicht in der Lage dich zu vergessen? Vielleicht vergisst du es nur nicht. Hast du immer noch Angst? Angst vor dir, vor mir, vor dem, was du möchtest und vor den Träumen anderer? Vor deinen Idealen? Was ist aus denen geworden, Simone?
Du wolltest durch die große Welt ziehen, jeden Ort und jeden Winkel in dich saugen, in die Kulturen eintauchen. Wie oft ich das Wort „Freiheit“ auf deinen Lippen gesehen hab, kann ich nicht mehr sagen. Wie oft du die Zeit verwünscht hast. Das ewige Ticken des Sekundenzeigers, des Todes, der sich im Verborgenen an deinem Fleisch gelüstet. Der Gedanke, „Es ist noch Zeit.“, hat hier noch jeden Körper abgebaut.
Deine Geschichten waren unbeschreiblich. Schönheit, Trauer, voll von Melancholie. Wie dein Blick, wenn du ihn in manchen Augenblicken, nach einer kurzen Nacht, von seinem Lächeln befreitest. Jetzt schreibst du nicht mehr, hast dich festgesetzt und „Freiheit“ hast du längst vergessen.
Hast du denn schon vergessen? Wir wollten zusammen schreiben, den Geist Europas in uns vereinen, die Welt verändern. Freiheit!
Verfolgen soll ich dich, doch daran, dass Irland schon von jeher mein Traum ist, daran denkst du nicht. Dass ich nicht wegen dir schreibe, ist dir wohl entgangen. Ja, ich habe dich geliebt und du bist meine große Liebe, ein Phantom, aber ich hänge nicht an dir. Nicht mehr. Wenn du das denken solltest, dann bist du wie die anderen, die du verspottest. Dann kennst du mich immer noch nicht.
Denn ich will schreiben, um zu schreiben, will mich loswerden, etwas finden. Das Sein vielleicht, die Ignoranz und diese exaltierte Individualität, die alles wie in einem Brei zermatscht, bekämpfen. Es reicht nicht sich anders zu kleiden.
Ich will immer noch etwas verändern, auch wenn es nur wenig ist. Dass, was auch du einmal wolltest. Und ich habe keine Angst dir in die Augen zu schauen, mich dir zu offenbaren, weil ich dich nicht mehr brauche. Weder deine Kommentare, noch dein Mitleid!‘

Ich trinke meinen Kaffee aus.

„Wie du meinst.“, antworte ich, stehe auf, lege fünf Euro auf den Tisch und gehe hinaus in den Regen.

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Ein Gedanke zu „Textproben

  1. […] Lauschgift am 4. Juni. Und bis dahin könnt ihr ja lauschen. Auf myspace. Und lesen. Hier auf der […]

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